Vulkan gucken und sternschnuppern: La Palma setzt auf Astro-Tourismus
Von Anita Fertl
Der junge Vulkan Tajogaite lockt Touristen nach La Palma. Nach einer Tour durch tiefen Lavasand können sie nachts in mit Teleskopen ausgestatten Landhäusern den Sternenhimmel beobachten.
- Man riecht ihn schon, ehe er im Hintergrund auftaucht: Tajogaite, der Neuling unter den Vulkanen auf La Palma Foto: Sabrina Mehler
- Pures Glück für Astro-Fans: die Milchstraße über der Sternwarte von La Palma Foto: Javier Cuevas
- Im Observatoriums Roque de los Muchachos steht das größte Spiegelteleskop der nördlichen Hemisphäre. Foto: Anita Fertl
- Der Freiburger Ingenieur Benjamin Siegel arbeitet gerade am Gran Telescopio Canarias auf La Palma Foto: Anita Fertl
- Man riecht ihn schon, ehe er im Hintergrund auftaucht: Tajogaite, der Neuling unter den Vulkanen auf La Palma Foto: Sabrina Mehler
- Pures Glück für Astro-Fans: die Milchstraße über der Sternwarte von La Palma
Einhändig, routiniert und mit einem Lächeln, strahlend wie die Kanarensonne, serviert Juan Carlos den für La Palma typischen Barraquito completto – ein Kaffeegetränk so vielschichtig wie die Insel: Espressoschwarz wie abgekühlte Lava, vulkanfeurig mit Likörschuss und ein Milchschaum, der an die Passatwolken erinnert, die oft über den inselkrönenden Gebirgszug ziehen.
Doch selbst das köstliche Gesöff lässt nur ahnen, was die nordwestlichste Kanareninsel – abgesehen von Europas jüngstem Vulkan – ausmacht: Auf gerade mal 46 Kilometer Länge und 28 in der Breite bringt es La Palma und ist frei von Bettenburgen und Ballermann. Stattdessen gibt es Natur satt, Wasserfälle in immergrünen Lorbeer-Nebelwäldern, Vulkane, Mondlandschaften, schwarze Strände und ein Gesetz, das den Himmel schützt. Kein Wunder also, dass die Unesco La Palma 2012 zum weltweit ersten Starlight-Reservat erklärte. Seither pilgern Astro-Fans zu den Sternen samt Warte auf den Roque de los Muchachos.
Zwölf Meter hohe Lavaberge begruben alles
Nicht zuletzt schätzen Naturliebhaber die Insel als perfektes Wanderterrain mit bizarren Vulkanlandschaften und atemberaubenden Schluchten – wie der Barranco de Las Angustias, wo auf einer Klippe das Café von Juan Carlos steht. Es liegt spektakulär am Aussichtspunkt El Time im nördlichen Inselwesten.
Der Wirt, den alle nur beim königlichen Vornamen nennen, lebt seit 26 Jahren auf La Palma – und doch hätte er die Insel fast verlassen, als der feurige Strom des Vulkans vergangenes Jahr alles niederwalzte. Durch die exponierte Lage der Terrasse mit Vulkanblick rannten ihm Fernsehteams die Tür ein, CNN belegte den Ecktisch als Stammplatz. Auch einheimische Freunde kamen und mussten mitansehen, wie zwölf Meter hohe Lavaberge alles unter sich begruben, was sie sich aufgebaut hatten. "Schau, jetzt kommt mein Haus dran, sagten sie. Es war die Hölle, ich habe mich ganz schlecht gefühlt", erzählt der 60-Jährige. Oft war sein Lokal so voll, dass er abschließen musste. "Alleine hätte ich das nicht geschafft. Wenn meine Söhne nicht geholfen hätten, wäre ich zurück aufs spanische Festland."
So laut wie ein Düsenjäger war das Grummeln, das den Menschen auf La Palma bis in den Bauch fuhr. Ein Höllenlärm, der mürbe machte, und ab dem 19. September 2021 85 Tage und acht Stunden dauerte. Dabei zerstörte der Vulkan eine dichtbesiedelte Zone und begrub mehr als 1300 Wohnhäuser der Gemeinden El Paso, Los Llanos und Tazacorte. Rund 7000 Menschen mussten evakuiert werden. Sie und auch Räumfahrzeuge wurden behindert durch Schaulustige, bis zu vier Schiffsladungen Spektakeltouristen täglich, angekarrt von einer findigen Tourismusagentur. Sie kamen aus Teneriffa mit eigenen Guides – die aus La Palma hatten abgelehnt.
Aus dem Krater steigen Wölkchen
Nun ist es ruhiger und man kann dem Vulkan wieder nahekommen. Aber nur auf geführten Touren. "Lange hatte er keinen Namen. Viele nannten ihn einfach die Bestie", so Reiseführerin Kerstin Swyzen über den Neuen, der nun offiziell "Tajogaite" heißt, ein alter Name für das Gebiet, in dem er ausgebrochen ist. Von Llano del Jable aus laufen wir durch tiefen Lavasand auf einem Weg, eingegrenzt durch Steinbrocken. Tajogaite hat alles bis zu 1,10 Meter hoch pechschwarz überzogen und jegliche menschlichen Spuren überdeckt. Niemand darf den fünf Kilometer langen Rundweg verlassen. Wie ein Teppich liegt die Stille über skurriler Mondlandschaft, aus der Pinien mit verdorrten Nadeln ragen. Der Wind schlägt schwadenweise Schwefelgeruch um die Nase und kündigt Tajogaite an, der den Rücken schwarz-silbrig in den Himmel reckt. Wölkchen steigen aus dem Krater, als paffe darin ein Riese eine Pfeife. Bis auf 250 Meter kommen wir heran. Sehen die Lavaflüsse, die sich über Wohngebiete und Bananenplantagen wälzten, dabei 370 Hektar Agrarfläche und 70 Kilometer Straßen begruben.
Zuvor hatte die Insel mit ihren 83 000 Einwohnern etwa 12 000 Touristenbetten. Einer der beliebtesten Orte an der sonnigen Südwestküste grenzt nun an Vulkanland. "Puerto Naos wird wohl wegen hoher Konzentrationen an Kohlenmonoxid lange Zeit gesperrt bleiben. Das ist ein Riesenproblem, denn alleine dort sind etwa 600 Betten verschwunden", sagt Swyzen.
Nachts ist es zappenduster
Doch die Menschen geben nicht auf, setzen auf nachhaltigen Astro-Tourismus. Alte Landhäuser werden renoviert, samt Teleskop auf der Terrasse vermietet. Auf der ganzen Insel gibt es Aussichtspunkte mit Infotafeln, Starlightguides bringen Urlaubern den Himmel näher. Auch wir wollen sternschnuppern und sind mit Antonio Gonzáles verabredet. Nach einer Fahrt über holprige Pisten tapsen wir ins Dunkle. Dank Himmelsgesetz wurden etwa alte Straßenlaternen durch orangefarbenes, gen Boden gerichtetes Licht ersetzt. Nachts ist es zappenduster.
Doch halt. Ein Blick nach oben und es ist, als hätte jemand Licht angeknipst, mit tausend-, nein millionenfachen Leuchtpunkten. Antonio hat ein Teleskop aufgebaut: "Wollt ihr?" Na klar. Wahnsinn. Zu sehen gibt’s den Mond samt Krater, so deutlich, als würde man gleich darauf landen. Komplizierter sind die Galaxien. Antonio erklärt, wie wir durch die Linse schauen sollen, von außen nach innen: "Siehst du’s?" – Hm. Weiß nicht. Sieht aus wie Sternensuppennebel, wunderschön.
Nun geht’s an die Sternenbilder, mit bloßem Auge: Polarstern, Großer Bär, Kleiner Bär, Rabe, Skorpion, Schwan. "Seht ihr die Jungfrau?", fragt der Starlightguide. Weil die alten Babylonier viel Phantasie bei der Erfindung der Sternbilder mitbrachten, macht Antonio in Yogapose die Jungfrau vor, streckt Arme und Beine so wie die Dame am Himmel: "You see, the skirt" – die Finger formen einen Trapez, einträchtiges Nicken, ja, der Rock, tatsächlich.
Gestatten: Das Sahnestück der Warte
Tags darauf stehen Sternstunden für Astro-Touristen an: Die Teleskope des Observatoriums Roque de los Muchachos auf 2426 Metern Höhe. Seit 2021 macht ein Besucherzentrum die Arbeit der Warte und Phänomene des Universums begreifbar. Draußen im gleißenden Sonnenlicht führt uns Antonio durch die Welt der Riesenparasole, die auf dem Bergkamm aus dem Boden wachsen und jeden Science-Fiction-Regisseur beflügeln dürften. "Wir sind gemeinsam mit Teneriffa, neben Hawaii und Chile, einer der drei besten Plätze für Sternbeobachtung und Astrophysik weltweit", erzählt Antonio.
Er führt uns zum Sahnestück der Warte, gestatten: das größte Spiegelteleskop der nördlichen Hemisphäre, das Gran Telescopio Canarias, kurz GTC oder Grantecan. Der Hauptspiegel besteht aus 36 Segmenten, die es auf 10,4 Meter Durchmesser bringen, erfahren wir, bevor wir seiner Riesenhaftigkeit eine Audienz abstatten. Dann: ehrfürchtiges Staunen. Automatisch fällt der Kopf in den Nacken beim Anblick des 50 Meter hohen Hochleistungskolosses. Das Teleskop ist auf einem Stahlsockel fixiert; alles zusammen wiegt 400 Tonnen. Die Bodenplatte, so Antonio, läuft butterweich auf einer Ölschicht. Jede Nacht öffnet sich das große Domtor. Dann wirft GTC einen Blick tief ins All und damit weit zurück in die Geschichte. Gefunden hat es schon Schwarze Löcher im frühen Universum, dunkle Materie und neue Galaxien.
Auch die großen Spiegel werden geputzt
Doch tagsüber hat GTC Pause, schade. Als hätte einer der Techniker unsere Enttäuschung gespürt, kommt er mit guter Nachricht: Sie würden das Gerät bewegen, sagt er erst auf Spanisch und, als er unsere Herkunft erfährt, in tadellosem Deutsch. Denn Benjamin Siegel stammt aus – Freiburg. Wie kommt er hierher? Zufall, sagt der 48-Jährige. Er hat Maschinenbau studiert und in Spanien ein Erasmus-Studium gemacht. Dann stieß er auf eine Anzeige der GTC-Betreibergesellschaft. "Da habe ich ’ne Bewerbung hingeschickt und wurde genommen." Für diesen Job kann er doch unmöglich ein gewöhnlicher Maschinenbauer sein? "Ich hatte halt gute Noten. Aber keine Erfahrung. Die meinten: Den nehmen wir mal, das ist ein ungeschliffener Rohdiamant." Siegel grinst verschmitzt.
Er arbeitet im Projektbüro auf Teneriffa. Dort wurde die Plattform designt, die sie nun einbauen. Dafür wird der Koloss gekippt und zeigt uns seine Spiegel: "Da dürft ihr nicht so genau hinschauen. Als meine Mutter zu Besuch kam, meinte sie: Die sind ja gar nicht geputzt!" – Doch, werden sie. Aber genauso schnell auch wieder dreckig. Unsere Zeit ist um, beim Abschied versprechen wir, die Freiburger Bächle zu grüßen.
Zurück zu niedrigen Gefilden, als krönenden Abschluss zu Juan Carlos inklusive Barraquito completto. Noch zwei Jahre will er bleiben, dann übernehmen die Söhne. Es geht weiter auf der Insel.
Anreise: z. B. mit Condor ab Frankfurt oder mit Edelweiss ab Zürich.
CO2-Kompensation: etwa 26 bis 33 Euro pro Person für Hin- und Rückflug ab Zürich oder Frankfurt